Wie man sich heute ein Bild von sich macht

Die Neuzeit zeichnet sich vor allem durch einen Verlust an Originalität zugunsten von Wiederholbarkeiten aus.

So erzeugt sie eine ständig weiter anwachsende Unmenge an technisch produzierten Abbildungen, die sie Bilder nennt und die durch ihre Allpräsenz eine illusionäre Bühne erzeugen, welche das Wahre und Echte immer mehr und immer deutlicher verdeckt und ersetzt.

Schon lange wird für die Bildung der Menschen heute weniger Geld ausgegeben als für deren Bebilderung und Verbilderung zum Zwecke der Kompensation eines allgemeinen geistigen Niedergangs, der geradezu als Bedingung für diese Vorgänge verstanden werden kann.

So ist uns der natürliche Lebensraum nun schon vollständig und umfassend zu einer Art Requisitenreservoir einer Schaubühne verkommen, denn das Leben, das Sein, die Wahrnehmung anderen Lebens und anderen Seins wie auch des eigenen Lebens und die Wahrnehmung eigenen Seins findet in der Neuzeit weniger in der jeweils gegebenen Ebene von Raum und Zeit statt als in deren technischen Projektionen und Übertragungen.

Dies findet zum einen vor allem in den Spiegelbildern und Projektionen der Medien statt - und zwar in einem Unmaße, daß nun schon die ganze Volksmasse auf deren Bühnen drängt und dort - schon weit entfernt von jeder Form eigener Lebendigkeit - den anderen zwanghafte Vorstellungen von sich selbst zur Vorstellung bringt.

Denn auf diesen billigen Bühnen der Massenmedien scheint das Leben nur noch aus einer Rolle zu bestehen, die man sich selbst ständig neu vorzustellen hat, nur um sie daraufhin sich weiter verstellend und sich einstellen lassend teils dem, teils dem anderen mehr nachgebend nachzuspielen.

Deshalb bewegen und agieren auch alle diese Nichtselbstdarsteller (Selbstdarsteller sind sie deshalb nicht, weil sie schon gar kein wahres Selbst mehr haben) nur noch so, als ständen sie ständig sich selbst verkünstelnd im Rampenlicht der Vorstellungen von sich und als dienten sie nur noch dazu, Bild- und Datenträger der sie umgebenden Unterhaltungs-, Daten- und Elektronikindustrie mit Zeugnissen ihres solchermassen unbeweglich traurigen Daseins zu beliefern, welches ja unter diesen Bedingungen nur noch ein flaches Abziehbild überlegter und übernommener weiterer Abbilder sein kann - oder besser gesagt: wahnhaft eingebildeter und anerzogen-übertragener.

Und obwohl sich dabei viele derart aufführen, als wären sie in ihrer Funktion als ein in dieser kranke Umgebung Aufzunehmender noch als Regisseur wie auch als Schauspieler eines solchen scheinbar doppelt gelungenen Lebens gleich doppelt zu bewundern, sind wir dennoch fast alle auf das geistigdörflichen Niveau von Schweinehirten und Rübenzüchter zurückgekommen, die unsere Vorfahren vor wenigen Generationen noch waren - nur waren die noch echt. Dies ist an sich schon ein trauriger Zustand, aber um so tragischer kommt dieser zur Wirkung, weil von dem Hochgefühl der so vorgestellten Scheinwelten aus keine Imulse mehr zur Weiterentwicklung ausgehen können, sodaß insgesamt ein allgemeiner Zustand an Unkultur in diesem als schön vorgestellten Schein verharrt, der noch nicht mal annähernd existiert hat oder jemals existieren wird.

Zum anderen erschreckt, wie umfassend einig und monoton sich alle in und für sich selbst in völlig gleiche, glatte, starre und langweilige Formen des Tuns, des Fühlens und des Denkens hineinbegeben - gerade so, als wären sie selbst schon zweidimensionale, tote Bilder eines Originals. Und fast überall, wo noch Originalität und Besonderheit zu sein scheint, da zeugt sogar gerade dies noch vom Gegenteil - stellt sich doch diese bei näherer Betrachtung fast immer als eine Maskerade heraus, wo man sich kopierter Zeichen und Merkmale in einer Weise bedient, die als billiger und zusammenhangloser Abklatsch dessen, was vielleicht irgendwann einmal tatsächlich Original war, nun in einer aufgesetzten Verzwungenheit sich dann tatsächlich auch als Aufgesetztes ent-larvt, indem solches oft erschreckend erinnert an Auftritte auf einem Kostümball. Applaus, Applaus.

© Ralf Rabemann

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Anmerkungen zur Kunst

texte/anmerkungen/wie_man_sich_heute_ein_bild_von_sich_macht.txt · Zuletzt geändert: 2019/05/07 22:45 von rabemann
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