Es geht ums Ganze

Kunst ist immer Menschenkunst

Wie variabel, kreativ und innovativ die Werdung eines Kunstwerkes – gleich welcher Art - auch sein mag – stets entsteht ein solches sowohl in seiner Erschaffung, Werdung oder Definition wie auch in seiner Betrachtung, Wahrnehmung und Interpretation durch einen Menschen für andere Menschen.

Der Mensch ist nicht frei

Diese Menschen jedoch sind in vielfacher Weise unfrei – schränkt doch jeden von ihnen allein schon die ihm angeborene Begrenztheit ein, ständig Mensch sein zu müssen - und noch dazu gerade der Mensch, als der er geboren ist und zu dem er sich hat werden lassen. Also ein Mensch mit diesem Geschlecht, diesem Aussehen, dieser Veranlagung und diesem Erbe, mit dieser Muttersprache, in dieser Zeit, in dieser Familie, an diesem Ort, in diesem Kulturkreis und ein Mensch, der sich mit diesen und diesen Entscheidungen in diese und diese Situationen und in diese Zwänge gebracht hat.

Ein Mensch gefangen in seiner Haltung, seinen Meinungen, seinen Ansichten und seiner Selbstsicht. Gefangen in seinen Angewohnheiten und seinen unzähligen Beschränktheiten, zu denen auch seine Selbstüberschätzung zählt, die ja entweder an den wenigen Stellen auftritt, wo er nicht beschränkt oder durchschnittlich ist oder auch gerade dort, wo er sich seine Beschränktheit ungern bewusst machen will und daher durch die Einbildung von Überlegenheit kompensiert.

Selbst wenn dieser Mensch nun über einen extrem weiten und mutierenden sowie selbst sich formenden wie auch erweiterungsfähigen Geist verfügen sollte, so stehen dennoch seine Wurzeln in genau diesem Urgrund von Begrenzt- und Bedingtheiten und beziehen meist nur aus genau dieser Herkunft selbst die abwegigsten, aber nur scheinbar völlig neuen Kreationen und Ideen als Variationen, Ableitungen und Neuformungen von zuvor Gegebenem oder Seienden.

Dies gilt selbst dann, wenn diese völlig gegenteilig zum Ursprünglichen zu sein scheinen - und vielleicht sogar gerade da, wo sie vorgeben, völlig entgegengerichtet zu sein.

Was heisst dies für einen Künstler?

Da sich nun ein Künstler wie jeder Mensch nur auf den Ebenen bewegen und anderen mitteilen kann, wo innerhalb dieser - genau seiner - individuellen Beschränktheit von Gegebenheiten Gleiches, Ähnliches oder Analoges mit den Beschränktheiten der anderen zu finden ist, sind seine Mittel der Mitteilung stets nur von solchem Umfang, wie dies die von ihm gewählten Ebenenen der Mitteilung und der Horizont der angesprochenen Menschen zuläßt.

Denn nur wenn Menschen, die ja den gleichen oben genannten Bedingungen ausgesetzt sind, zu seinem Bildern oder Gedanken bei und in sich ähnliche oder übertragbare oder aus dem Gebotenen ableitbare Bezüge finden, dann erfolgt ihnen auch eine Mitteilung mittels dem von ihm Hervorgebrachten – ansonsten wird zwar die Gegenwart seiner Werke wahrgenommen, aber bei weitem noch nicht das, wofür sie stehen oder stehen könnten und erst recht noch lange nicht das, wofür sie stehen sollen.

Dabei halte ich es ohnehin für fraglich, ob das, was man meint oder vorgibt oder später hineininterpretiert, was an einem Kunstwerk Botschaft sei, dies auch ist oder sein kann oder auch nur jemals sein sollte. Damit ich nicht falsch verstanden werde: ich stelle nicht die Tatsache der Botschaft in Frage, jedoch schon den Umstand, inwieweit darüber Bewusstheit und Benennung möglich sein kann oder sein sollte - denn das Wesentliche spielt sich meiner Ansicht nach vielmehr ab im dahinter als im davor.

Meine Konsequenz daraus

In Anbetracht einer Unmenge an Lügen, Verfälschungen und Verwirrungen, mit denen uns Bewohnern dieser schönen, neuen Welt heute allseits Geist und Sinne getrübt und verbogen werden, wende ich mich in meiner Kunst und meiner Bildsprache bewusst ursprünglichen und elementaren Ausdruckformen zu.

Denn hier sehe ich noch am ehesten Wege, Menschen zu erreichen, die sich ihr ursprüngliches noch ganz oder teilweise bewahren konnten und die sehen und verstehen, dass es in meinen Bildern nicht um Einzelnes, sondern um Bilder des Ganzen und um das Sehen dieses Ganzen in einer ungewöhnlich gewordenen Weise geht.

© Ralf Rabemann

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texte/anmerkungen-kunst/es_geht_ums_ganze.txt · Zuletzt geändert: 2019/05/07 22:51 von rabemann
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